Der Kunsthistorische Studierendenkongress (KSK) ist die Vollversammlung aller Studierenden der Kunstgeschichte und Kunstwissenschaften im deutschsprachigen Raum.
Stellungnahme
des KSK-Sprecher*innenrates zur aktuellen Diskussion über den Postkolonialismus
Horst Bredekamp hat am 8. März in der FAZ einen Beitrag veröffentlicht, in dem er
dem Postkolonialismus als einen „Angriff auf die Vernunft“ bezeichnet und ihm die „Zerstörung des Antikolonialismus“ vorwirft. Genau die Vorwürfe, die er gegenüber dem Postkolonialismus erhebt, müssen nach Lektüre seines Textes leider ihm selbst attestiert werden: Populismus auf Kosten einer ernsthaften wissenschaftlichen Auseinandersetzung, ein Angriff auf die Wissenschaft durch die pauschale und unfundierte Delegitimierung einer ganzen Disziplin sowie in letzter Konsequenz auch eine geschichtsvergessene Relativierung rechtsradikaler Positionen.
Mehrfach vergleicht er postkoloniale Kritik an Institutionen mit totalitären politischen Ideologien und geht dabei so weit, die Folgen des Postkolonialismus mit national-sozialistischen Bücherverbrennungen zu vergleichen. Das ist eine Entgleisung, die man vielleicht von der AfD, nicht aber von einem renommierten Wissenschaftlererwartet hätte. Anstatt sich mit postkolonialen Argumenten auseinanderzusetzen, versucht er kritische Stimmen zu verleumden und führt einen Nazi-Vergleich als Totschlagargument an, um einen ganzen Wissenschaftszweig mundtot zu machen. In der Konsequenz handelt es sich hier aber nicht nur um abwegige, sondern sogar um fahrlässige Vorwürfe. Wenn er in direktem Vergleich zu „der AfD und Schlimmerem“ in identitätspolitischen Bewegungen die „wahre Bedrohung“ sieht, ist das schlicht eine gefährliche Verharmlosung rechter Gewalt. Seit 1990 sind in Deutschland mindestens 213 Menschen durch rechtsradikale Gewalt zu Tode gekommen.
Wir distanzieren uns hiermit deutlichst von diesem Angriff auf die Wissenschaft und jeglicher Verharmlosung rechter Gewalt.
Derartige geschichtsvergessene Aussagenschockieren uns als Sprecher*innen des Kunsthistorischen Studierendenkongresses, der Vollversammlung aller Studierenden der Kunstgeschichte und Kunstwissenschaften im deutschsprachigen Raum. Sie repräsentieren weder unsere wissenschaftliche Disziplin noch unser Verständnis von akademischer Diskussionskultur.
Die Aussagen von Bredekamp belegen vor allem, dass es gerade in der Kunstgeschichte immer noch an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit postkolonialen Argumenten mangelt. Wir haben deshalb eine Lektürelistezusammengestellt, die einen schnellen Einstieg in aktuelle Debatten ermöglicht und wichtige Aspekte aufzeigt, ausgehend von der aktuellen Diskussion um Bredekamp und das Humboldt Forum, über Restitution bis hin zu Dekolonialisierungsprozessen.
Dass ausgerechnet Bredekamp, der vor fünfzig Jahren im Rahmen des KSK neue Blickrichtungen in der Kunstwissenschaft anstieß, die sich nachhaltig etabliert haben, sich heute genauso verstaubt und reaktionär zeigt wie diejenigen, gegen die erseinerzeit argumentieren musste, nehmen wir zum Anlass für die Zukunft unseres Faches zu fordern:
Postkoloniale und dekoloniale Theorien sind genauso wie die von Bredekamp geschätzten Arbeiten von Aby Warburg und Franz Boas Grundlagen geistes- undkunstwissenschaftlichen Forschens. Sie gehören dementsprechend auf den Lehrplan. Dafür werden wir uns auch in Zukunft einsetzen!
Lektüreliste
Folgende Beiträge empfehlen wir zum Einstieg indie Thematik. Unter derksk.org haben wir dieseListe eingestellt und mit Links zu den jeweiligenArtikeln versehen.
Weitere Hinweise sind willkommen!
Zur aktuellen Diskussion:
Mahret Ifeoma Kupka: ZUR SOLIDARITÄT UNTER UNGLEICHEN Von Mahret Ifeoma Kupka(textezurkunst.de)
Matthew Vollgraff: A Response to Horst Bredekamp (boasblogs.org)
Elke Buhr: Bredekamp über Raubkunstdebatte: Eine irrwitzige Verdrehung des Diskurses(monopol-magazin.de)
Humboldt Forum:
George Abungu: Comment | 'Humboldt Forum must have a clear policy that only objects ofproper provenance can be used' (The Art Newspaper)
Andreas Kilb: Das Kuppelkreuz auf dem Humboldt-Forum glänzt mit falscher Symbolik (faz.net)
Kwame Opoku: Traces Of Colonialism In Humboldt Forum? Reading Humboldt Forum ShortGuide (modernghana.com)
Restitution:
Verschiedene Expert*innen:
Koloniale Vergangenheit: Öffnet die Inventare! (ZEIT ONLINE)
Bénédicte Savoy: Europäische Museen - Die verdrängte Debatte - Kultur -SZ.de(sueddeutsche.de)
Eric Otieno: Why Restitution won't happen if Europe controls the terms
Stephen E. Nash: Vigango Repatriation - A Curator's Search for Justice (SAPIENS)
Valley Greer: Decolonization can’t just be a metaphor (africasacountry.com)
Dekolonialisierung:
Julia Pelta-Feldmann: Kolonialkunst: Restitution ist nicht genug (ZEIT ONLINE)
Mokia Laisin: What are historical exhibitions for? (Contemporary And Contemporary And)
Nina Lucia Gross und Magdalena Grüner: Die giftigen Partikel einer Disziplin | Monopol (monopol-magazin.de)
Dan Hicks: Why Colston Had to Fall (ArtReview)
Bei Fragen oder Anmerkungen stehen die folgenden Kanäle zur Verfügung:
E-Mail: sprecher_innenrat@derksk.org
Instagram: @derksk.offiziell
Stellungnahme zum Download
Stellungnahme (Stand März 2021)